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Warum Frauen sich vor der Kamera oft klein machen – und warum wir das ändern müssen

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Der Moment, bevor das Licht angeht

„Ich weiß gar nicht, was ich tun soll.“
„Ich sehe auf Fotos immer komisch aus.“
„Ich bin total unfotogen.“

Diese Sätze höre ich fast jedes Mal, bevor ein Shooting beginnt. Und sie kommen nicht von unsicheren Mädchen – sondern von gestandenen Frauen. Frauen, die mitten im Leben stehen, die viel erreicht haben, Mütter, Großmütter, Kämpferinnen sind.
Und doch, sobald die Kamera ins Spiel kommt, ziehen sie die Schultern hoch, ziehen den Kopf ein, machen sich kleiner, leiser, vorsichtiger.
Aber warum eigentlich?


Wie wir lernen, uns klein zu machen

Ich glaube, dieses Verhalten ist kein Zufall.
Es ist das Ergebnis von Jahren – nein, Jahrzehnten – weiblicher Sozialisation.

Wir Frauen lernen früh, wie wir „richtig“ wirken sollen:
Nicht zu laut, nicht zu fordernd, nicht zu eitel, nicht zu auffällig.
Wir lernen, dass unser Wert mit unserem Äußeren zusammenhängt – aber gleichzeitig, dass es unangenehm ist, zu viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wir sollen schön sein, aber bitte bescheiden.
Sichtbar, aber nicht auffallen.
Sinnlich, aber nicht vulgär.
Selbstbewusst, aber bloß nicht arrogant.

Dieses „Zuviel“ hängt wie ein unsichtbares Netz über unseren Körpern.
Und sobald eine Kamera auf uns gerichtet ist, spüren wir es: den inneren Kritiker, der sofort flüstert:
„Darf ich das?“
„Ist das nicht zu viel?“
„Wirke ich nicht arrogant?“
„Sehe ich dick aus?“
Die Liste ist endlos.


Der Blick, der uns formt

Mir ging das nicht anders, vor allem in meiner Teen- und Twen-Zeit.
Man durfte mich nie von der Seite fotografieren, weil ich mein Profil hasste – vor allem meine Nase. Natürlich fand ich mich zu dick, das gehörte in den 2000ern quasi zur Grundausstattung. Ich wollte dazugehören und mich gleichzeitig abgrenzen, innerlich wie äußerlich. Und so gehörte ich am Ende nie ganz irgendwohin.

Aber ich liebte Fotos. Ich liebte Verwandlung (und tue es immer noch).
Als echte Rheinländerin war Verkleidung für mich schon immer Freiheit.
Karneval war mein Ventil – mein Raum, um auf die Straße zu gehen, wie ich wollte, ohne schief angesehen zu werden.

Ich stand oft vor der Kamera. Damals gab es noch kein Instagram, kein Selfie-Game. Diese Bilder waren wirklich für mich, später entwickelte sich mehr daraus.
Ich traf mich mit Hobbyfotografen, sogenannte TFP-Shootings („Time for Pictures“) – und ich hatte das große Glück, fast immer an respektvolle Männer zu geraten, die mir den Raum ließen, mich so zu inszenieren, wie ich wollte.

Trotzdem merkte ich mit der Zeit:
Wie sie mich sahen, war nicht, wie ich mich sehen wollte.

Ihr Blick war oft technischer, bewertender, suchend nach dem technisch perfekten Bild. Ihre Vorstellung vom weiblichen Körper war eine andere als meine.
Mein Zugang war emotional. Bei mir standen schon immer Ausdruck und Gefühl vor technischen Spielereien.
Ich wollte mich auf den Bildern spüren, in neue Rollen schlüpfen, mich ausprobieren, mich schön fühlen. Ja, auch sexy – aber auf meine Art. Nur: Was war eigentlich meine Art?

Heute weiß ich: Wir alle sind geprägt vom sogenannten Male Gaze, dem männlichen Blick, der in Kunst, Medien und Fotografie über Jahrhunderte bestimmt hat, was schön, begehrenswert und „richtig“ ist.
Er hat uns beigebracht, uns selbst von außen zu betrachten – wie ein Objekt, das bewertet wird.
Aber wenn Du ständig durch fremde Augen auf Dich schaust, wie sollst Du Dich dann je frei fühlen, Dich selbst zu zeigen?


Zwischen Vertrauen und Übergriff

So viel Glück wie ich damals hatte, war nicht jeder vergönnt. Ich erinnere mich an Shootings, bei denen ich nur als Begleitung einer Freundin dabei war – als eine Art Sicherheit, damit niemand übergriffig wurde. Immerhin traf man sich mit fremden Männern, oft irgendwo in abgeschotteten Studios oder verlassenen Parks.

Und wie oft fielen Sätze wie:
„Komm, zeig doch mal mehr.“
„Zieh doch das Top aus.“
Obwohl meine Freundin von Anfang an klargemacht hatte, dass das für sie nicht infrage kam.

Diese Situationen hinterlassen Spuren – selbst, wenn sie „glimpflich“ ausgehen.
Sie lehren uns, dass Fotografie Macht hat. Und diese Macht war (und ist) oft männlich dominiert.
Viele Frauen spüren diese Macht am eigenen Körper – manchmal im schönsten, manchmal im schlimmsten Sinne.


Wenn Blicke verletzen

Ich hatte auch solche Erlebnisse.
Eines war mit einem bekannten Starfotografen aus Berlin – über den ich an anderer Stelle schon geschrieben habe.
Ein anderes war ein Casting für Hobby-Workshop-Modelle: Ein Fotograf suchte Frauen für seine Fotokurse. Ich wurde mit einer Freundin eingeladen, die sehr schlank und selbstbewusst war.

Ich war damals „normalgewichtig“, wie man so schön sagt. Doch mein Selbstbewusstsein war nur eine fragile Fassade. Innerhalb weniger Sekunden ließ dieser Mann mich fühlen, als wäre ich völlig fehl am Platz.
Zu dick, zu unsicher, nichts wert. Er sagte nie eines dieser Worte, doch ich fühlte sie trotzdem.

Ich erinnere mich, wie ich mich schämte – für meinen Körper und für meinen Mut, mich überhaupt beworben zu haben.
Ich fühlte mich falsch, hässlich, dumm.
Meine Freundin bekam den Job. Ich nicht.
Und so bitter das war – rückblickend war es ein Geschenk.

Denn ich bekam kurz darauf einen anderen Auftrag:
Ein Fotograf suchte ein Model für seine Workshops über Porträtfotografie – Beautylicht, High Key, Low Key.
Mein Job war es, mit extravagantem Make-up in verschiedenen Lichtstimmungen für Porträts zu posieren, den Fokus auf Ausdruck, Hände, Emotion.

Meine Haare waren streng zurückgegelt, mein Gesicht offen sichtbar – und plötzlich fühlte ich mich nackt, trotz des vielen Make-ups.
Meine Haare waren immer mein Schutzschild gewesen.
Aber dieser Moment war eine Befreiung.

Ich lernte, wie viel Wirkung in Licht, Mimik und Haltung steckt. Mein Gesicht war kein Makel, sondern Charakter. Der Fotograf war freundlich, wertschätzend, ein eher ruhiger, zurückhaltender Typ, der mir einfach ein sicheres Gefühl gab. Und so konnte ich mein volles Potenzial ausleben. Ganz nebenbei sog ich alles an Wissen auf, was während der Workshops gelehrt wurde.

Ich fotografierte damals schon ein wenig selbst – und von da an noch viel mehr. Ich merkte, wie viel ich hinter der Kamera zu geben hatte, nicht nur davor.

©Matthias Kleinow 2007

Warum ich heute fotografiere

Die negativen Erfahrungen haben mich mindestens genauso geprägt wie die positiven.
Denn ich habe am eigenen Leib gespürt, wie leicht ein Fotograf eine Frau verunsichern – ja, zerstören – kann und damit ihr Bild von sich selbst.

Ich wollte diese Macht anders nutzen.
Nicht, um zu zerstören, sondern um zurückzugeben.
Ich wollte Frauen den Raum geben, sich selbst zu begegnen – ohne Bewertung, ohne Druck. Spielerisch auszuprobieren, sich an neue, ungewohnte Looks heranzuwagen, sich frei zu machen von den Erwartungen anderer, um herauszufinden, wer sie eigentlich sein wollen. Oder zu zeigen, wer sie schon längst sind.

Mein Ziel heute ist:
Dass jede Frau in meinem Studio vergisst, was ihre innere Kritikerin flüstert – und stattdessen eine neue, unterstützende Stimme in sich hört.
Eine, die sagt: Ich bin schön. Ich bin genug. Ich bin da.


Wenn Du beginnst, Dich selbst zu sehen

In meinen Shootings sehe ich das immer wieder.
Eine Frau kommt nervös herein, die Schultern leicht eingezogen, der Blick abwartend.
„Ich bin aber kein Model“, sagt sie entschuldigend. Als müsste sie abliefern, mir gefallen.

Das erste Outfit ist zum Ankommen da. Doch mit jedem Foto wächst sie ein Stück.
Beim zweiten Outfit steht sie aufrechter.
Sie lacht freier.
Sie beginnt, mit der Kamera zu spielen.
Manche werden sinnlicher, andere rebellischer, verspielter, wieder andere ganz weich.

Und irgendwann passiert es – dieser Moment, in dem sie plötzlich da ist. Und sich zu 100 % wohlfühlt.
Es ist dieser Gänsehaut-Moment, wenn es Boom macht und die Rakete startet. Die Frau strahlt und funkelt, fühlt sich wie eine Göttin. Jetzt ist sie nicht mehr aufzuhalten.
Wenn Frauen vor meiner Kamera aufhören, sich zu „präsentieren“, und anfangen, einfach zu sein, dann verändert sich alles.

Das ist der Moment, in dem Magie passiert. Unbezahlbar. Weil ihn ihr niemand mehr nehmen kann.


Das Shooting als sicherer Raum

Ich sage immer:
Ein Shooting bei mir ist kein Termin – es ist ein sicherer Raum.
Ein Raum, in dem Du Dich selbst neu erleben darfst.
Ohne Vergleiche. Ohne Bewertung – aber voller Wertschätzung.

Viele meiner Kundinnen erzählen mir später, dass sie sich nach dem Shooting im Alltag anders bewegen. Aufrechter. Ruhiger. Selbstverständlicher.
Sie sagen, sie haben endlich verstanden, was es bedeutet, „sich wohl in der eigenen Haut“ zu fühlen. Dass sie sich reifer, selbstbewusster, stärker fühlen.
Und das, obwohl sie nichts an sich verändert haben – außer die Art, wie sie auf sich schauen.


Wie Du aufhörst, Dich klein zu machen

Wenn Du Dich vor einer Kamera klein machst, mach Dir bewusst:
Das ist kein Zeichen von Schwäche.
Das ist ein Reflex.
Ein Schutzmechanismus, den Du Dir über Jahre antrainiert hast – um in einer Welt zu bestehen, die Frauen ständig beurteilt.

Aber Du kannst ihn verlernen.
Hier sind drei Gedanken, die dabei helfen:

1. Du darfst Raum einnehmen.
Körperlich, emotional, visuell. Es ist kein Ego, Dich zu zeigen – es ist Selbstachtung.

2. Du bist nicht Dein Spiegelbild.
Ein Foto zeigt nur einen Bruchteil von Dir. Wenn Du auf einem Bild etwas siehst, das Du „nicht magst“, dann frag Dich: Wer hat mir beigebracht, das nicht zu mögen?

3. Schönheit ist kein Ziel, sondern ein Zustand.
Sie entsteht, wenn Du aufhörst, Dich zu bewerten – und beginnst, Dich zu fühlen.


Sichtbarkeit ist Selbstbestimmung

Ich glaube fest daran:
Jede Frau sollte mindestens einmal in ihrem Leben ein Shooting erleben, das sie nicht für andere macht – sondern für sich selbst.
Wenn Du Dich selbst einmal mit liebevollem Blick gesehen hast, gewinnst Du eine innere Beschützerin fürs Leben.

Und jedes Mal, wenn Du Dich traust, sichtbar zu werden, bricht ein Stück des alten Systems.
Das, das uns klein halten will.
Und Du setzt etwas Neues in Bewegung – in Dir, und in den Frauen, die Dich sehen.

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