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Die größte Lüge übers Frau-Sein

Inhalt

Es gibt eine Lüge, die sich so früh in uns einnistet, dass wir sie irgendwann für Wahrheit halten.
Eine Lüge, die so selbstverständlich klingt, dass wir sie gar nicht mehr hinterfragen – obwohl sie uns täglich kleiner macht, als wir sind.

Die Lüge, die ich selbst viel zu lange geglaubt habe, lautet:

„Ich darf erst sichtbar sein, wenn ich schön genug bin.“

Und das ist eigentlich absurd, wenn man ehrlich ist.
Denn schön genug – für wen genau?

Für uns selbst ja meistens nicht.
Und für die anderen?
Das ist ein Fass ohne Boden. Es wird immer jemanden geben, dem wir zu wenig, zu viel, zu dick, zu dünn, zu irgendwas sind.

Ich musste viele Umwege gehen, bis ich verstanden habe, dass Sichtbarkeit nichts ist, das Frauen sich „verdienen“ müssen.
Sichtbarkeit ist ein Recht.
Ein Raum.
Etwas, das uns zusteht – und das wir viel häufiger einfordern sollten.

Wie wir lernen, dass Schönheit & Sichtbarkeit immer Bedingungen hat

Wenn ich Frauen zuhöre – meinen Kundinnen, Freundinnen oder Fremden im Alltag – höre ich ständig dieselben Muster.
Wir alle sind geprägt von Vorstellungen und Regeln, die so tief sitzen, dass wir sie kaum noch bemerken.

Wir sollen gut aussehen, aber bitte nicht „zu gewollt“.
Wir sollen selbstbewusst sein, aber nicht „drüber“.
Wir sollen uns zeigen, aber nicht provozieren.
Wir sollen uns schön machen, aber am besten für einen Anlass oder jemanden anderen – nur nicht für uns selbst.

(„Wer nur für sich selbst schön sein will, der lügt doch …“)

Und wenn wir uns dann doch trauen, kommen die Zweifel:

„Wirkt das nicht eingebildet?“
„Kann ich so wirklich rausgehen?“

„Bin ich jetzt angreifbar?“

„Mache ich mich lächerlich?“

Viele Frauen möchten gehört und gesehen werden – aber sie trauen sich nicht, weil sie glauben, sie hätten kein Recht darauf. Oder nur dann, wenn sie eben alle Bedingungen erfüllen.

Wie es bei mir anfing: Wenn Schönheit zum Ersatz für Liebe wird

Ich war als Kind sehr schüchtern, viel allein, Außenseiterin.
Das Verhältnis zu meinem Vater war schwierig, meine Mutter viel arbeiten, und emotional gab es bei uns zu Hause wenige warme Worte. Humor war unser Schutzschild, manchmal aber auch eine Waffe. Über mein Aussehen oder meine vermeintliche Eitelkeit wurde oft gescherzt – nicht böse gemeint, aber es hinterließ Spuren.

Als Teenager sehnte ich mich danach, gesehen zu werden. Geliebt. Gemocht. Irgendwo dazuzugehören.
Und wenn man das Zuhause nicht gelernt hat, sucht man es draußen.
Ich suchte Anerkennung bei Männern, später im Job – überall dort, wo ich das Gefühl hatte, Kontrolle zu haben.

Erst als ich mit 36 Mutter geworden bin, hat sich etwas in mir gelöst.
Ich wurde milder mir selbst gegenüber, liebevoller mit meinem Körper und allem, was dazugehört.
Und plötzlich ergaben all die feministischen Werte meiner Mutter Sinn – Dinge, die ich damals abgelehnt hatte, die aber tief in mir gewirkt haben.

Mein HotOrNot-Kapitel – und warum es mich bis heute begleitet

Mit Anfang 20 war ich bei HotOrNot. Vielleicht kennt die ein oder andere das noch.
Eine Plattform, auf der Fremde bewerteten, wie „attraktiv“ du bist – völlig anonym, völlig willkürlich.

Ich war einige Jahre dabei, während der Zeit nahm ich 10 Kilo ab, trainierte obsessiv, kontrollierte jedes Detail und wog irgendwann 48 Kilo bei 1,59 m. Und selbst dann dachte ich noch, ich müsse weiter abnehmen.

Einmal erreichte ich die heiß ersehnte 9 von 10 Bewertung. Tja, was soll ich sagen, mein Moment des Triumphs war schneller vorbei als ich blinzeln konnte. Wenn ich heute zurückblicke, erinnere ich mich aber an ganz andere Dinge: Ich erinnere mich an die Community dort – die nächtlichen Chats, die lustigen Fotomontagen, die wir füreinander machten, die Menschen, die mich tatsächlich mochten, nicht wegen meines Aussehens, sondern weil ich ich war. Ganz im Gegenteil zur „realen“ Welt.

Und das zeigt so klar:
Es ging nie nur um Schönheit, sondern um Zugehörigkeit. Um das Gefühl, irgendwo gesehen zu werden.

Zwischen Anpassung und Rebellion – und warum Sichtbarkeit Angst machen kann

Ich bin in einem sehr liberalen Haushalt aufgewachsen.
Meine Eltern führten eine offene Ehe – in einem kleinen Ort, in den 80/90ern.
Ich galt für viele automatisch als „falscher Umgang“, ohne dass ich etwas dafürkonnte. Das machte mich oft wütend, gleichzeitig wollte ich einfach nur dazugehören.

Ich schwankte zwischen auffällig und angepasst, zwischen Rebellion und Abgrenzung sowie dem Wunsch, wie alle anderen zu sein.

Karneval war mein Highlight – dort durfte ich sein, wer ich wollte, ohne Erklärungen, ohne Rechtfertigungen.
Später wurden Fotoshootings mein Karneval. Ein (Frei)Raum, in dem ich mich ausprobieren und zu meinen Bedingungen sichtbar werden konnte.

Doch Sichtbarkeit hat für Frauen immer auch eine dunkle Seite.
Ich habe Übergriffe erlebt, „Komplimente“, die keine waren, heftige Grenzüberschreitungen, die ich damals noch lächelnd wegsteckte, um nicht „zickig“ zu wirken.
Ich kenne dieses innere Programm: Sei nett. Sei höflich. Stell Dich nicht an. Wenn ich daran denke, was ich in meiner Jugend als „das ist eben so“ hingenommen habe, dann kann ich heute nur fassungslos mit dem Kopf schütteln.

Ich glaube jede Frau kennt dieses Hin- und Her zwischen „Ich will gesehen werden“ und „Ich ertrage diese Blicke nicht“.

Was ich höre, wenn Frauen sagen: „Ich bin nicht fotogen“

Wenn Frauen solche Sätze sagen, geht es nie nur um Fotos.
Es geht um Scham, Angst vor Bewertung, erlernte Selbstkritik und alte Wunden.

Oft spüre ich im Gespräch:
Sie wollen sichtbar werden – aber nicht wieder verletzt.

Und genau deshalb ist es für viele so schwer, ein Shooting nur für sich selbst zu buchen.
Weil es bedeutet, sich selbst wichtig zu nehmen.
Und das fühlt sich für viele Frauen fast verboten an.

Die wahre Transformation, die ich bei Frauen sehe

Das, was in einem Shooting passiert, ist nie rein äußerlich.
Natürlich verändern Haare, Make-up und die Kleidung etwas – klar.
Meine glamourösen Shooting-Outfits, das besondere Styling durch eine professionelle Make-up-Artistin, perfekt eingestelltes Licht – das alles sind nur Werkzeuge.
Das Entscheidende passiert immer im Innen.

Ich sehe, wie Frauen am Anfang oft noch kontrolliert sind, unsicher, vorsichtig.
Wie sie darüber nachdenken, wie sie „wirken“, krampfhaft überlegen, wohin mit den Händen.
Wie sie automatisch den Bauch einziehen und die Luft anhalten.

Und dann passiert dieser Moment – die Magie, auf die ich während eines Shootings hinarbeite:

Sie atmen aus.
Sie lassen sich ein Stück fallen.
Sie hören für einen Augenblick auf, sich selbst zu kommentieren, zu kritisieren.

Manchmal dauert es zehn Minuten, manchmal eine halbe Stunde – aber es passiert jedes Mal:

Die Haltung wird weicher, der Blick echter, das Lächeln weniger „Foto“, mehr „Ich“.

Das ist der Moment, in dem eine Frau von „funktionieren“ zu „wohlfühlen“ wechselt.
Der Moment, in dem sie nicht mehr versucht, sich zu präsentieren – sondern einfach ist.
Und es genießt.

Warum Schönheit nie die Voraussetzung für Sichtbarkeit sein darf

Schönheit ist kein Maßstab, kein Ticket, keine Zulassung, um existieren zu dürfen.
Sie ist ein kulturelles Konstrukt, das sich ständig verändert – abhängig davon, wer gerade die Narrative bestimmt und wem sie nützen.

Wenn wir unser Leben lang darauf warten, „schön genug“ zu sein, werden wir uns niemals zeigen.
Denn die Wahrheit ist:
Frauen werden so stark standardisiert und reglementiert, dass wir irgendwann selbst glauben, wir müssten erst schön sein, bevor wir sichtbar sein dürfen.

Du musst nicht schlanker sein. Nicht perfekter. Nicht jünger. Nicht glatter. Nicht „fertig“. Du bist kein Produkt, das optimiert werden muss. Und Du musst kein unerreichbares Ideal erfüllen, bevor Du Dich zeigen darfst.

Dieses „Ich zeige mich erst, wenn …“ ist nicht unser Gedanke, er wurde uns beigebracht.

Deshalb brauchen wir Räume, in denen wir

  • uns wieder mögen dürfen.
  • uns zeigen können, ohne bewertet zu werden.
  • ausprobieren dürfen – sinnlich, laut, leise, verspielt, rebellisch, was auch immer uns gefällt.
  • Menschen um uns haben, die uns wirklich sehen.

Und etwas Magisches passiert, wenn wir uns selbst mit freundlicheren Augen betrachten:

Wir finden automatisch schön, was wir mögen. Das gilt für andere – und genauso für uns selbst.

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